Von Landratten und Seebären

"If you have to, go that way" sagt Doug den ich von seiner Schicht ablösen möchte und zeigt in die Richtung in die der Wind weht. Eine Sekunde später hänge ich dann auch schon über der Reiling und sehe zu wie mein Frühstück in den Wellen des Pazifiks verschwindet.
Mir ist hundeelend. Das hat man also davon wenn man seinen Freund wie ein Welpe um eine Segelreise anbettelt. Man wird in eine Rettungsweste gesteckt, am Boot festgebunden, verbringt seine Tage draussen und mit dem Gefühl nie wieder glücklich zu werden veräussert man in regelmäßigen Abständen seinen Mageninhalt. Henrik geht es nicht viel besser. Warum habe ich nur geglaubt wir gehören zu den 10% die erst gar nicht seekrank werden? Immer dieser Optimismus!

Alle sechs Stunden habe ich eine dreistündige Wachschicht an Deck. Zu meinen Aufgaben gehört das Steuern, den Horizont anschielen, Segel überwachen und das Logbuch führen während Cäptn Doug und Matrose Henni in ihren Kojen versuchen nicht aus dem Bett zu fallen und bestenfalls ein wenig zu schlafen.



Logbuch Hakura
Überfahrt von Tonga nach Fiji

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Time: 18:00 
Position: S 18°26.4   W 174°23.5
Speed: 6 Knots, Wind: East, Sky: 90%
Sea: Moderate, Distance travelled: 56.5nm

Soso, die See ist also moderat. Ich will also gar nicht erst wissen was rough bedeutet. Angeleint kauere ich auf dem Deck und halte mich am Steuerrad fest. Unsere Hakura treibt willkürlich wie ein Korken auf hoher See und immer wenn wir in ein Wellental kommen habe ich Angst dass das Wasser direkt über uns hereinbricht. Zwischen festhalten und übergeben sehe ich zu wie die Dämmerung den Horizont durchfärbt und  Tonga immer kleiner wird. Abendessen? Nein Danke!

Seekrank: 100%
Heute gelernt: Und wir sind halt doch Landratten
Und was Henrik dazu sagt: Ich will nach Hauseeee!

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Time: 3:00 
Position: S 17°38.9   W 175°11.8
Speed: 7 Knots, Wind: East, Sky: 95%
Sea: Moderate, Distance travelled: 115nm

Mit Schwimmweste geschlafen damit ich schneller raus kann. Muss also nur schnell die Tuchbarriere überwinden, zur Luke klettern ohne umzufallen (das ist der anstrengende Part), die Sicherheitsleine einklinken und dann kanns auch schon los gehen mit der Nachtschicht. Grüngesichtiger Henrik leistet mir Gesellschaft und Beistand. Singen zur Ablenkung alle Heimatlieder die uns einfallen. "Wir lagen vor Madagaskar" liegt ganz hoch im Kurs. Logbuch führen eher weniger, da wir es unter Deck nur in der Horizontalen aushalten.

Seekrank: 100%
Heute gelernt: Seemanslieder
Und was Henrik dazu sagt (singt): "Wir lagen vor Fiji Harbour und hatten die Lust verlorn. Um uns herum tost das Wasser und ständig kotzt einer über Bord. Ahoi, Ahoiiiiii, Kameraden Ahoi..."

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Time: 12:00 
Position: S 17°01.7   W 176°03.9
Speed: 6 Knots, Wind: East, Sky: 60%
Sea: Moderate, Distance travelled: 179nm

Das ewige Geschaukel, das tosende Wasser, die nichtaufhörende Übelkeit - Der Ozean könnte sich unseretwegen ruhig ein wenig zusammenreißen. Schliesslich haben wir bereits eingesehen dass es eine einmalige Erfahrung bleiben wird! Bin ich eigentlich die einzige die geglaubt hat dass segeln etwas romantisches ist?

Seekrank: 100%
Heute gelernt: Segeln hat mit Romantik nix am Hut
Und was Henrik dazu sagt: Rutsch mal rüber ich muss gleich wiede*würghpmhaawürgh*

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Time: 21:00 
Position: S 16°22.9   W 176°50.1
Speed: 6 Knots, Wind: North-East, Sky: 0%
Sea: Moderate, Distance travelled: 241nm

Immer noch seekrank. Trinke statt dem muffeligem Trinkwasser jetzt Ingwertee. Soll helfen. Wasserpumpe der Bordtoilette kaputt. Wir müssen also Salzwasser schöpfen, durch die ganze Kabine manöverieren und von Hand spülen. Bin müde, schlapp und lasse mich zu einer handvoll Nüsse überreden. Bereue es sofort. Lasse mich von der See unsanft in den Schlaf schaukeln.

Seekrank: 80%
Heute gelernt: Bei hohem Seegang auf Toilette gehen. Besser gar nicht.
Und was Henrik dazu sagt: So ne scheisse!

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Time: 6:00 
Position: S 15°58.2   W 177°35.4
Speed: 6 Knots, Wind: North-East, Sky: 12,35%
Sea: Slight, Distance travelled: 292nm

Ingwertee hilft! JUHU! Flauer Magen gibt langsam auf. Ist ja auch wirklich nix mehr drin. Aus der Bordküche kommt ein Chili sin carne dass ich hungrig verschlinge. Wo wir denn sind, will ich wissen. Doug zeigt wortlos auf die Seekarte. Mittendrin und doch im Nichts. Ich sehe mich zum ersten Mal bewusst um - Wasser, Wasser und nochmals Wasser. Zumindest der Himmel malt uns ein bisschen Abwechslung.

Seekrank: 20%
Heute gelernt: Es ist ein verdammt langer Weg na Fiji
Und was Henrik dazu sagt: Wann sind wir endlich da?

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Time: 15:00 
Position: S 16°18.8   W 178°24.2
Speed: 6 Knots, Wind: South-East, Sky: 20%
Sea: Slight, Distance travelled: 345nm

Es ist heiss! Die Kabine ist die reinste Sauna und auf dem Deck kann man ohne weiteres Spiegeleier braten. Zeit für eine Abkühlung. Da das Trinkwasser limitiert ist, gibt es keine Dusche an Bord und so bleibt nur der Eimer mit Meerwasser. Mit Bikini, Rettungsweste und Sicherheitsleine gehts also zum "Duschen" mit spezieller Salzwasserseife. Wurde auch höchste Zeit!

Seekrank: 0%
Heute gelernt: Ein Eimer Wasser reicht völlig aus um sich wieder sauber zu fühlen
Und was Henrik dazu sagt: Schrubbst du mir bitte den Rücken?


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Time: 24:00 
Position: S 16°41.1   W 179°13.9
Speed: 6 Knots, Wind: South-East, Sky: 25%
Sea: Slight, Distance travelled: 399nm

Der Sternenhimmel. Zum ersten Mal kann ich ihn richtig geniessen. Keine Lichtverschmutzung, keine Wolken, nur die Sterne, ein paar Sternschnuppen und ich. Hakura rauscht sanft durch die Wellen und bringt das Plankton zum Leuchten. Einfach magisch!!!

Seekrank:0%
Heute gelernt: Nichts, nur gestaunt.
Und was Henrik dazu sagt: WOW

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Time: 9:00 
Position: S 17°02.8   W 179°59.9
Speed: 6 Knots, Wind: South-East, Sky: 20%
Sea: Slight, Distance travelled: 450nm

Kurswechsel! Doug schreit sämtliche Befehle durch den Wind und wir stolpern wie aufgescheuchte Hennen hin und her. Das Segel will nicht, wir stehen falsch, das Lenkrad blockiert, der Kurs stimmt nicht, Doug flucht und das passiert natürlich alles auf einmal...

Seekrank: 0%
Heute gelernt: Manchmal geht eben alles schief.
Und was Henrik dazu sagt: Don't worry - be happy!

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Time: 18:00 
Position: S 16°59.9   E 179°50.1
Speed: 2 Knots, Wind: South-East, Sky: 30%
Sea: Calm, Distance travelled: 485nm

Wir ueberqueren den 180sten Laengengrad und ich kann es kaum erwarten von Bord zu gehen. Wieder weites Land unter den Füssen, Privatsphäre, eigenes Bett, eine Dusche, geregelte Schlafzeiten und ordentliches Essen. Was so spießig klingt scheint auf einmal sehr erstrebenswert. Keine Faser meines Körpers will mehr auf diesem Boot sein und wenn ich könnte würde ich lieber nach Fiji schwimmen. Meine Wache dauert länger als sonst, was wohl auch daran liegt dass ich ungeduldig auf meinem Popo hin und herrutsche auf die Uhr schaue und ständig seufze. "Ach liebes Fiji komm doch bald!"

Seekrank: 0%
Heute gelernt: Ich hab Landweh.
Und was Henrik dazu sagt: Ich auch!

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Time: 3:00 
Position: S 17°04.4   W 179°36.3
Speed: 1 Knots, Wind: varies, Sky: 10%
Sea: Calm, Distance travelled: 296nm

Meine letzte Wachschicht soll gleichzeitig auch die schönste sein. Ein leuchtender Sternenhimmel weicht langsam einem schönen Sonnenaufgang der seine Farben ständig ändert. Die See ist zahm wie ein wie Kätzchen, Seevögel sammeln sich zu spektakulären Flugmanövern, wir frühstücken zum erstenmal zusammen auf dem Deck und am Horizont erstreckt sich die erste Landmasse seit 4 Tagen. "Laaaaaaand! Laaaaaaaand!" jubeln Henni und ich. Doug schüttelt leicht den Kopf und murrt etwas unverständliches vor sich hin. Wir fragen nicht nach, freuen uns einfach und sind uns einig - Wir wollen gar keine Seebären mehr sein, sondern nur noch stinknormale Landratten :-)


   Fix und feddich!

    Hakuras Logbuch 


    Damit wir nicht aus den Kojen kullern

    Safety first, ohne Leine geht nix


   Meine Rucksackmonster auf hoher See


   Henni's Schicht


   The Captain

    Njam. Das kulinarische Highlight der Bordküche

   Pazifische Himmelskunst

    Denkerwolken


   Wann sind wir endlich daaaa?


    6.3 Knoten, Tiefe nicht messbar, zurückgelegte Strecke 334.9 nm, Wassertemperatur 26.6 Grad

    Wir flieeegen!

















   Kokosnuss-Frühstück

   mit Cäptn Doug!

    Laut Seekarte sind das da vorne die...

    Fiji-Inseln wuhuuuu!



1 Kommentar:

  1. hallo ihr zwei das hört so toll an bin gespannt wie die Fuji so sind lese regelmassig was ihr so treibt und mona du schreibst echt gut. Wir waren auch segeln aber nur auf dem Bodensee :-) wir vermissen euch grüsse aus Freiburg Postcarts are more personal... :-)

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