Shivas Labyrinth

Varanasi - nach 11 Stunden Zugfahrt (ich habe noch nie so selig geschlummert) endlich Varanasi. Wenn auch vieles nicht funktioniert - die AC funktioniert immer! So betreten wir schockgefrostet den Bahnsteig, um bei 40 Grad dahinzuschmelzen. Eine Motorrikscha bringt uns, soweit es der gewohnt chaotische Verkehr zulässt, in die Richtung unseres Hotels. Ich stelle fest dass man irgendwann immun gegen den indischen Fahrstil wird und werde zur Beobachterin des Strassengeschehens. Mehr Bettler, zu meiner Überraschung viele Muslime, mehr Abgase, mehr Trubel, mehr Kühe - noch mehr Indien. Da die Gassen immer enger werden ist irgendwann Schluss mit Rikscha fahren und wir schleppen unsere Rucksackmonster zu unserem Hotelzimmer mit Gangesblick.



Für ca. 10 Euro teilen wir das Zimmer mit 3 Geckos. Ich hasse Geckos. Ich versuche dem Rezeptionisten mit meinem Mickymouse-English klarzumachen dass ich nicht in diesem Zimmer schlafen werde, ganz egal wie oft er "its no problem Ma'am" sagt. Ein Hoteljunge scheucht die Viecher dann in die Mittagssonne, nur damit sie eine halbe Stunde später wieder an der Wand kleben und mich misstrauisch beobachten. Ich gebe es auf, die Geckos und ich kommen zu der stillschweigenden Übereinkunft dass sie die Ameisenstrasse im Bad essen dürfen aber verschwinden wenn ich mal für kleine Monas muss. Funktioniert prima! Jetzt da die Territorien eingeteilt sind, wenden wir uns der heiligen Hindustadt und ihren 100 Ghats ( Ghats = steinerne Treppen die bis ins Wasser reichen) zu.

Die meisten Ghats dienen als Badestellen und für die rituellen Waschungen der Pilger. Shiva soll sich hier in Varanasi von seinen Sünden reingewaschen haben, und so wundert es auch nicht, dass täglich über 6000 Menschen hierher strömen um es ihm gleichzutun. Wir reden allerdings nicht vom glasklaren Gebirgsfluss wie in Rishikesh, sondern von einem Ganges der bereits einige Kilometer mit unglaublicher Umweltverschmutzung hinter sich hat. Kurz gesagt: der Ganges ist eine ordentliche Dreckbrühe, voller Müll, Büffelkot und Industrieabwässer. Darin zu baden ist schon allein wegen dem weit überhöhten Gehalt von Cholibakterien alles andere als ratsam. Und trotzdem spielt sich hier jeden morgen ein Badespektakel ab. Der Hinduismus ist stärker als das Bewusstsein für Hygiene.

An den Ghats spielt sich aber mehr ab als die reinen Badefreuden der Inder. Hier werden Abends Zeremonien abgehalten und tagsüber von kleinen Jungs Cricket gespielt während die älteren bei einem Chai zusammensitzen. Die Schlepper die einem ein Boot/ eine Rikscha/ ein Restaurant/ eine Tour oder sich selbst als Guide verkaufen wollen sind natürlich auch nicht weit.

Abends wenn die Gläubigen hunderte kleine Blumenschalen mit Teelichtern in den Ganges setzen sieht es wunderschön aus. Schade ist nur dass der Smog der Stadt sich abends wie ein Schleier auf den Fluss legt und die schönen Lichter so schnell im Abgasenebel verschwinden wie sie gekommen sind.

Nach Erkundung der Ghats wagen wir uns in das bunte, dreckige und geschäftige Gassenlabyrinth der Altstadt. Wer sich hier nicht verläuft ist selbst schuld. Es gibt so unglaublich viel zu entdecken! Kleine Tempel, kitschige Shivaschraine, Müllbeladene Ruinen, Unmengen von Minishops (Es gibt hier nichts was man nicht kaufen kann in Shops die z. T. so gross sind wie Kühlschränke ), Bettler, Heilige, Pilger, Träger, Schulkinder, Motorradfahrer und natürlich - Kühe. Manchmal müssen wir uns in einer besonders engen Gasse an einer Kuh vorbeiquetschen und hoffen, dass sie heute einen besonders heiligen Tag hat!
Das Labyrinth ist unendlich - an jeder Kreuzung spielen wir "links/rechts" und freuen uns auf die nächste spannende Begegnung mit dem Subkontinent. Ein Bettler begrüsst uns in einer Ecke mit "Hello Money!" was mich natürlich besonders ärgert. Aber warum eigentlich? Ich bin ein Touri der bei jeder Gelegenheit abgezogen wird und er spricht nur aus was hier viele denken. Die Ladenbesitzer formulieren das nur etwas geschickter: "Take a look at my Shop!"

In Varanasi sind 3 der Ghats für Leichenverbrennungen reserviert. Dass wir uns einer dieser Ghats nähern merken wir an der rußigen Luft, an den riesigen Holzstapeln und an einem Leichenzug der hinter uns auftaucht. 8 Männer tragen eine Leichenbahre über ihren Köpfen und werden von weiteren Angehörigen sowie Sprechgesängen verfolgt. Wir machen schnell platz und ich verstaue meine Kamera so, dass sie nicht mehr zu sehen ist. Hier anfangen zu knipsen wäre eine tiefe Respektlosigkeit. Alleine dass wir bei der Verbrennung anwesend sein dürfen zeigt die große Toleranz der Inder gegenüber uns Ausländern. (Man stelle sich fotografierende, schaulustige Inder auf einer deutschen Beerdigung vor)

Wer in Varanasi stirbt und hier eingeäschert wird erhält sofort Zugang zum Nirvana und entrinnt der Reinkarnation. Deshalb kommen viele alte Menschen von überall hierher und warten auf ihren Tod. Die Kosten der Einäscherung richtet sich nach der Kaste des Verstorbenen. Die Angehörigen zahlen für das "ewige Feuer" und für die ca. 200 kg Holz die benötigt werden um einen Menschen zu verbrennen. Der Job der "Unberührbaren" ist es, die in einem Tuch verhüllten Leichen auf einen Scheiterhaufen zu legen, anzuzünden und die Asche in den Ganges zu fegen. Frauen sind zur Zeremonie nicht zugelassen da ihr Weinen das eigentlich für die Hindus freudige Ereignis stören könnte. Heilige und Kinder werden nicht verbrannt sondern in der Mitte des heiligen Flusses versenkt. Dass das den Ganges nicht gerade zu seinem natürlichem Gleichgewicht verhilft versteht sich von selbst.
Die Scheiterhaufen brennen 24h, 7 Tage die Woche. Täglich werden
hier am Manikarnika Ghat 200 Leichen verbrannt. Das alles erzählt mir ein Hospitzmitarbeiter während ich gebannt einer Verbrennung zuschaue. Man sagt Shiva flüsstert den Verstorbenen während der Erlösung süsse Worte ins Ohr...

Ich habe bisher noch keine Stadt als so intensiv, spannend, erschreckend und faszinierend erlebt wie Varanasi. Ich bin fast ein wenig traurig dass uns AirIndia heute in Mumbai absetzen wird und wir für einen Tag in Bollywood untertauchen bevor die Strände von Goa auf uns warten.